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Plädoyer gegen Übermedikation


Lange, sehr lange habe ich heute mit mir gerungen, ob ich ein Foto meines Vaters aus dem Frühling in diesem Jahr abbilde. So lange, wie noch nie. Der Grund dafür ist, dass auf diesem Bild entweder ein absolut ausgemergelter Mensch am Ende seines Lebens liegen könnte, ersatzweise aber auch eine Leiche. Hätte man mir so ein Foto mit einem mir fremden Menschen gezeigt, hätte ich auf Letzteres getippt.

Dies war die Zeit, in der uns von einem hinzu gerufenen Arzt mitgeteilt wurde, dass wir uns auf das Ableben meines Vaters in den nächsten Stunden einstellen sollten. Und die Benachrichtigung eines Beerdigungsunternehmens wäre zweckmäßig. Seine Worte, nicht meine.

Wir haben uns in der Familie zum Ziel gesetzt, jedes Stadium meines Vaters zu dokumentieren. Dies ist unsere Art, die Demenz, die Alzheimerkrankheit, den Morbus Crohn, das Parkinson und den Verlust aller Körperfunktionen zu verarbeiten. Dazu gehören für uns auch Fotos. Nicht zuletzt aus dem Grund, dass auch heute noch Bekannte Angriffe gegen uns fahren und uns vorwerfen, dass wir meinen Vater in ein Heim abgeschoben haben und uns sein Geld unter den Nagel gerissen haben. Diesen Leuten entgegen zu halten, dass das Geld bereits am Ende ist, für die letzten Jahre Pflege (nun Stufe drei) aufgebraucht wurde und wir einen großen Teil der Unterbringung finanzieren, hat wenig Sinn. Wie oft werden wir heute noch gefragt, wann er geheilt ist, wann wir ihn wieder nach Hause holen. Und wie oft ist in deren Gesichtern genau dieser Vorwurf abzulesen. Wer sich ein klein wenig mit den Sozialgesetzen auskennt, der weiß, dass die PS 3 nicht ohne weiteres vergeben wird. Dazu kommt, dass wir uns bis zu vier Mal in der Woche um meinen Vater bemühen, einen recht weiten Weg auf uns nehmen, dies aber akzeptieren, da dieses Heim für uns nach wie vor die optimale Lösung für ihn ist.

An diesen vier Tagen wird mein Vater also bewegt, angezogen, mit Nähe zu uns umgeben und auch ab und zu gefüttert. Ein Umstand, der bei vielen anderen Heimbewohnern leider nicht zu erkennen ist. Dass dabei die eigenen Kräfte langsam zu Ende gehen - das sieht niemand. Oder kann es einfach nicht abschätzen. Und trotzdem machen wir es gerne.

Aus dieser Tätigkeit - und ich muss es klar sagen - die hauptsächlich um zum Großteil meiner Mutter anzurechnen ist, entstehen diese Dokumentationen. Die Frühlingsbilder jedoch, die werden für uns unter Verschluss bleiben.

Heute war es wieder einmal soweit, neue Bilder. Auf Einiges war ich gefasst, nicht aber auf das, was ich zu sehen bekam. Ein Mensch, der zwar im Rollstuhl sitzt und sich in der Hauptsache durch Brummen und Blicken verständlich macht, aber irgendwie mehr von seiner Umwelt mit zu bekommen scheint. Er reagiert auf zugeworfene Bälle mit einer Reaktion, die mich verblüfft. Er folgt Objekten mit den Augen, widmet sich gar Zeitungen. Ob er dies bewusst macht oder nicht - wir können es nicht abschätzen. Da wir aber immer vom besten Fall ausgehen, versuchen wir ihm so viel wie möglich an Eindrücken zu verschaffen, um ihn zu beschäftigen. War im Herbst enterale Alleinnahrung angesagt, so führt er nun wieder selbst einen Löffel mit Kuchen zum Mund. Er erkennt Kinderlieder, deren Sätze er vollendet. Und er genießt sichtlich seinen geliebten - wenn auch stark verdünnten - Kaffee.

Wie wir uns das erklären? Da die Symptome einer Demenz momentan noch nicht umkehrbar sind, kann es sich nicht um eine körperlich bedingte Besserung handeln. Jedoch wurden nach dem letzten Besuch im Krankenhaus zur Schonung des Darmes alle Arzneimittel abgesetzt, welche nicht unbedingt nötig sind. So bekommt mein Vater also nur noch Schmerzmittel, wenn nötig. Und eben die üblichen ASS. Von zuletzt 17 verschiedenen Tabletten, darunter auch stark bewusstseinsdämpfende Granaten, sind zwei bis vier übrig geblieben. Je nach Tagesverfassung.

Und mit jedem Tag kämpft sich mein Vater ein kleines Stück mehr zurück. Kann wieder eine Strecke von gut 200 Metern laufen - natürlich mit Stützung im Rücken, jedoch mit eigenen Muskeln. Die Umwelt wird aktiver wahr genommen, die Aggressionen sind verschwunden.

Klar, wir machen uns keine Hoffnungen, die Besserung kann Morgen schon wieder vorbei sein, eine Verschlechterung ist zu jedem Moment möglich. Und trotzdem freuen wir uns an jedem Moment, jeden Augenblick, der ihm etwas mehr von seinem Leben wieder zurück in seine Hände legt.

Kommentare

  1. Mir kommen grad die Tränen bei deinem Text... :,(
    So viele Krankheiten und eine davon hab ich ja leider selbst...

    Ich weiß leider, wie Medis wirken können und das sie einen gewaltig dämpfen können. Ich weiß vieles von der Intensivstation nicht, da ich da total zugedröhnt war mit Medis... Ich hoffe und Wünsche, das sich dein Vater irgendwie erholen kann und das er selbst das Leben noch genießen kann...
    Bzw. das eure Wünsche für deinenVater in Erfüllung gehen!!!

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    1. Ghetti, jetzt geht es ihm ja bedeutend besser. Wenn ich aber sehe, wie viel eigentlich noch "wache" Zeit ihm durch die Medikamente genommen wurde, dann wird mir ganz anders. Ein Genuss wird sein Leben wohl nicht mehr werden, aber aus der vertrocknenden, lebensunfähigen Hülle ist wieder ein Mensch geworden. Und zwar einer, der auch die Sonne sichtlich genießen kann. Illusionen auf großartige Besserung haben wir natürlich nicht, das wäre auch nicht mehr möglich. Ich bin aber dem Arzt dankbar, der die Medikamente auf "null" gesetzt hat - nach und nach - um zu sehen, was denn überhaupt nötig ist.

      Die erste Einstellung in der geschlossenen war somit eine Katastrophe, hat nur dem dortigen Personal geholfen, ihn ruhig zu stellen. Ein Fall von vielen Tausenden.

      Ich wünsche auch Dir, dass Du Deine Krankheit überwinden kannst, in die Zukunft positiv siehst und nicht verzweifelst. Auch ich bin nun seit gut zwei Jahren nicht mehr auf dem Damm. Und trotzdem: das Leben ist schön. Auch, wenn einen die Schmerzen manchmal verzweifeln lassen.

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    2. Ich denke mal, dass du weißt, das MC nicht heilbar ist :(
      Aber, ich versuche es zu akzeptieren und zu leben...

      Heute ja beim Frisör gewesen und Haare ab!!! und das quatschen mit meiner Frisörin genossen ;)

      Darf ich mal fragen, was dein Leiden ist? Du hast es schon mehrmals erwähnt... Wenn du magst, kannst auch gern unter ghettighettiätyahoopunktde antworten ;)

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    3. Ja, klar, drum achten wir auch sehr darauf, was er zu essen bekommt. Sachen, die ihn reizen können, vermeiden wir tunlichst. Eigentlich "nur" ein weiterer Stein in der Aufmerksamkeitsliste. Aber, wenn es auch nur einen Tag ohne Beschwerden bringt, ist es da wert.

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  2. Übermedikation ist ganz schlimm. Die meisten Dosieranleitungen von Medikamenten beziehen sich auf einen mittelalten, mittelgroßen Mann - also so um die 40 und 1,70 groß und 80 kg schwer - so in etwa. Im Alter lässt aber unter anderem die Leistungsfähigkeit des Stoffwechsels nach, die verabreichten Medikamente können gar nicht mehr so schnell abgebaut werden, wie früher oder wie gedacht und die Wirkstoffe häufen sich im Körper an.
    Ich habe mit einem Hausarzt zusammen gearbeitet, der hat bei neuen Patienten als erstes ALLES abgesetzt und dann langsam wieder aufgebaut, aber nur so viel, wie nötig war - unter sehr engmaschiger Kontrolle und Sicherheit durch uns. Den Leuten ging es anschließend meist viel besser.
    Inzwischen gibt es auch wissenschaftliche Studien darüber und eine entsprechende Liste, die allen Ärzten zugänglich ist.

    Grüße! N.

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    1. Nelja, ähnlich wie Du es beschreibst, ist es auch meinem Vater ergangen. Erst mal lieber lange Zeit etwas zu viel, Hauptsache, ruhig gestellt. Eingeliefert wurde mein Vater mit 69 Jahren, 180 cm Körpergröße, ca. 110 kg. Und nicht etwa dick, kräftige Muskulatur. Jetzt: 72 Jahre alt, Körpergröße? Vielleich 170 gewundene Zentimeter. 60 - 62 kg, je nach Wochenverfassung. Die Medikamente sind aber mehr geworden, wir haben es geschehen lassen, weil wir dem Artzt vertraut haben. Mein Vater wurde schnell ruhig, entspannt. Dass er aber nur in der Bewegung gedämpft wurde, war uns nicht bewusst. Nach dem letzten Klinikaufenthalt hat der Arzt viele Medis einfach gestrichen. Ergebnis: es geht ihm besser.

      Wir sind vor Wochen erstmals stutzig geworden, als innerhalb von zwei Wochen mehrere Packungen Abführmittel und gleichzeitig Stuhlverfestiger verabreicht wurden. Kurz darauf dann die Darmdiagnose. Und mein Vater hat vielleicht noch Glück, weil für ihn immer jemand da ist, der in seinem Sinn entscheidet. Und auch mal unbequem nachfragt. Wie viele Bewohner sind in guter Verfassung schon nach im eingezogen und mit den Füßen voran wieder ausgecheckt.

      Das ist aber kein pauschaler Vorwurf, viele Ärzte - und auch das Personal - sind sicherlich mit dem noch recht neuen und vielfältigen Krankheitsbild überfordert. Und wie jeder Mensch so ist auch der Verlauf der Krankheit individuell.

      Und ging es einfach nur zu schnell, dass mein Vater von "einigermaßen selbstbestimmend" auf "Krautsalat" innerhalb von ein paar Monaten verfiel. Viele Seiten im Internet wurden befragt, auch viele Bekannte, die ebensolche Krankheitsfälle in der Familie haben/hatten.

      Aber ich wäre froh gewesen, am Anfang der Krankheit die Hilfe in Anspruch nehmen zu können, die auf der einen Internetseite demnächst angeboten wird, deren Link mir in dieser Woche zugesandt wurde.

      Gruß
      Holger

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    2. PRISCUS-Liste! Guck mal hier, das ist der Artikel dazu im Ärzteblatt, die Tabellen lassen sich in neuen Tabs öffnen (einfach drauf klicken). Vielleicht hilft dir das was.

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    3. Nelja, vielen Dank! Werde mich gleich mal durcharbeiten.

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  3. Ein wirklich beeindruckendes und auch erschreckendes Posting. Erschreckend bezogen auf die Überschrift.

    Es ist schön, dass Du/Ihr Deinen Vater wieder anders erleben könnt.

    Ich wünsche Dir und Deiner Familie viel Kraft.

    LG

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  4. Mit bezogen auf die Überschrift meinte ich natürlich das Wort Übermedikation... Nicht, dass jetzt falsche Schlüsse gezogen werden. ;)

    LG

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    1. Manu, irgendwie rechnet man ja ständig mit Allem. Zwei Mal wurde uns bereits eröffnet, dass es nun das Ende wäre. Irgendwann mal gewöhnt man sich daran. So blöd es klingt. Und es hilft dabei, die Dinge auch mal zu hinterfragen und nicht einfach hinzunehmen, was der Arzt einem vorsetzt.

      "Der Herr D. ist nur noch Gemüse, da geht nix mehr." "Der Herr D. ist so gut wie tot, suchen sie ein Grab!" "Der Herr D. wird aus dem Krankenhaus nicht mehr in das Heim zurückkehren." "Der Herr D. ist zu schwach zum überleben!" Diese Sprüche haben wir zu hören bekommen und jetzt geht es ihm besser, als vor einem Jahr. Hätten wir ihn aufgegeben, keine Übungen gemacht, nicht Alles auch mal hinterfragt, keine Präsenz vor Ort gezeigt - ich bin mir sicher, er wäre nicht in dem Zustand wie jetzt. Vielleicht schon tot. Und nun spürt man auch wieder so etwas wie einen Lebenswillen. Klingt komisch, aber es fühlt sich an, als hätte er endlich den Kampf aufgenommen.

      Die Sprüche oben sind übrigens in seinem Beisein von Ärzten getätigt worden. Da hat keiner nachgedacht, ob er es hört. Obwohl es damals schon wahrscheinlich war.
      Gruß
      Holger

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    2. Das glaub ich gern. Über Krankenhausärzte kann ich mich stundenlang und maßlos aufregen - und mit ihnen streiten auch. Leider muss jeder da durch. Du kommst von der Uni und fällst in dieses System Krankenhaus. Wenn du Glück hast, kommst du heile wieder raus. Das geht den jungen Ärzten nicht anders als den Patienten. Du merkst, ich stehe da ein bisschen auf Kriegsfuß - habe in den letzten zwanzig Jahren mit "meinen" Patienten einfach zu viel erlebt.

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    3. Obwohl ich - trotz unseres Ausbildungskrankenhauses hier vor Ort - eher dazu neige, das System inklusive der vielen Arbeitsstunden anzuklagen. Ordentliche Zeiten, ordentliche Gelder und wir bekommen auch ausgeruhte und zufriedene Ärzte. Im Krankensystem stopfen sich die Falschen die Taschen. Das fängt schon bei den Rohstoffen an. Vielversprechend, aber mit wenig Marge belegt? Kein Forschungsinteresse. Hohe und höchste Gewinnspanne? Kein Problem, hier wird weiter geforscht. Und so ist es bei den Ärzten. Nur noch die "Billigen" haben eine Chance. Aus unserer Nachbarschaft, die von vielen Ärzten durchsetzt ist, studieren die Kinder nicht nur im Ausland, sie bleiben auch da. Umso mehr ehrt Dich, dass Du noch nicht aufgesteckt hast und für Deine Patienten da bist. Danke für Menschen wie Dich!

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  5. Also, ich verfolge Deine Berichte zu Deinem Vater ja schon länger und freue mich, dass er wieder mehr am Leben teilnehmen kann. Meine Bewunderung!

    Dein Post trifft den Nagel in vielerlei Hinsicht auf den Kopf und ich kann Dir nur voll zustimmen. Mein Vater ist 80, hat ein schwaches Herz und deshalb ein Diurethikum vom Hausarzt bekommen. Bei dem vom Hausarzt empfohlenen Kontrollbesuch beim Kardiologen hat dieser ihm trotz bereits 15 kg Wasserverlust ein weiteres Diurethikum verschrieben "weil es dann leichter geht". Die Folge war wenige Tage später ein häuslicher Kollaps wegen Entmineralisierung, weil uns natürlich niemand gesagt hat, dass mit dem ausgeschwemmten Wasser auch Mineralien verloren gehen.

    Die Folge ist, dass mein Vater jetzt im Pflegeheim ist, da er jetzt ständige Aufsicht benötigt (u.a. auch wegen Korsakow = Alzheimer). Dort bekommt er neben dem Diurethikum zum "Mineralisieren" Eisentabletten, die machen Verstopfung und deshalb bekommt er Abführmittel. Dann gibt's noch Blutdrucksenker, nochmal Blutdrucksenker, ASS, Antidepressiva, aufgrunddessen Vitamin B, ... Also, ich nehm' die Tabletten jetzt auch alle, weil, wenn sie meinem Vater helfen, dann kann's doch auch nur gut für mich sein, oder? *ironieaus*

    Ich bekomme die monatlichen Abrechnungen der Medikamente von der Apotheke und da gehen jedesmal hunderte von Euro über die Theke, teils von der Kasse, teils von uns. Was für ein Geschäft! Mich wundert es, dass die Priscus-Liste vom Staat gesponsert wurde, sie schadet doch der Pharmaindustrie. Machen die keine Lobbyarbeit mehr? *ironieaus*

    Und beim Geld passe ich auch auf wie ein Luchs. Obwohl mein Vater Sozialhilfe bekommt, protokolliere ich jede Ausgabe, die mit seinem Taschengeld bezahlt wird, nicht, dass man uns später den Porsche einmal neidet *schonwiederironieaus*. Alles Volltreffer, die Du hier beschreibst.

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  6. Hallo Blogspargel, dann scheint es wohl wirklich am System zu kranken. Die Diurethika bekam er auch. Natürlich aber nur den Mindestumsatz an Flüssigkeit. Was ihn also nach ein paar Wochen in das LKH brachte. Grund: Dehydration. Natürlich war niemand verantwortlich, auch nicht für die schlechten Werte in der Folge.

    Wir haben dann auf eigene Verantwortung diese Tabletten absetzen lassen - und siehe da: auch keine geschwollenen Füße, keine Atembeschwerde, dafür kein übermäßiger zäher Schleim mehr im Hals, die Atmung ruhig und nicht rasselnd. Die Hände und Füße wieder warm (auch das ist eine Folge von "Wassertabletten") und an Flüssigkeitsgabe reicht wirklich die Standardmenge.

    Die Blutdrucksenker sind auch weggelassen worden - und siehe da; ein Blutdruck von um die 110 - 120 zu 70 - 85. Ruhepuls 56, für einen 72jährigen keine schlechten Werte. Die ASS behalten wir allerdings bei, da diese hoffentlich wirklich den vielen kleinen Dingen im Kopf (er hatte hunderte Mikroschlaganfälle) vorbeugen können.

    Wir haben zwar die Betreuung meines Vaters, aber das heißt in der Realität nur, dass wir die Drecksarbeit machen, uns um die nervigen Kleindinge kümmern müssen. Wenn es um Gelddinge geht, dann hat leider das Amt die Finger drin. Ich habe da mittlerweile Hausverbot (obwohl das wohl schlecht durchsetzbar wäre), die Dinge, die dort entschieden werden, sind teils haarsträubend und wider den Vernunftssinn. Ich könnte da Dinge erzählen. Aber: wir sind ja nur darauf aus, meinen Vater weg zu packen und das Geld zu raffen. Dass von uns bisher niemand auch nur einen Cent genommen hat - dessen Verwendung wir auch nachweisen müssten - glaubt uns niemand. Aber, keine Angst, das Amt hat ja die Finger drin und erwartet jedes Jahr einen detaillierten Bericht über den Finanzstatus. Hilfe vom Amt oder gar Sozialhilfe? Einmal laut gelacht.

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  7. Ich war lange Jahre als examinierte Altenpflegerin tätig und kann bestätigen, dass auch ich "Wunderheilungen" erleben durfte, wenn bei einem Bewohner die Medikamente komplett abgesetzt wurden. Das war manchmal der Fall, wenn ein Arztwechsel statt fand und ein vernünftiger Mediziner alle Pillen vom "Speisezettel" strich. Ab und an war es aber auch so, dass der Bewohner "sterbend" war und deshalb die Medikation abgesetzt wurde. Dieser Sterbende saß dann irgendwann wieder halbwegs mopsfidel im Bett, aß Kuchen und wir waren mal wieder fassungslos.

    Was ich an Pillen ausgegeben habe, war oft haarsträubend. Da wußte der eine Arzt nicht, was der andere verordnete, manche Bewohner waren schon satt, wenn sie morgens ihre Pillen genommen hatten. Eine richtige Schweinerei war das. Natürlich gibt es Medikamente, die notwendig sind. Aber gegen jedes Wehwehchen und jede Lebensäußerung ein Mittel zu verabreichen, ist Körperverletzung.

    Allerdings ist die Personalsituation in den Heimen derart angespannt (und ich fürchte, es hat sich nichts gebessert in den letzten Jahren - ich bin zum Glück schon seit 20 Jahren raus), dass eine individuelle Betreuung unmöglich ist. Das führt dazu, dass unruhige Bewohner den Pflegeablauf zum Teil völlig durcheinander bringen. Da ist der Schritt zur ärztlich verordneten Sedierung nicht weit. Meines Erachtens kann man weder das Personal noch den Bewohner noch den Arzt wirklich verantwortlich machen. Das System ist menschenverachtend, sowohl zu Pflegende als auch Pflegende sind darin gefangen. Es müssen Änderungen her, am besten schon vorgestern.

    Deinem Vater, dir und deiner Familie wünsche ich eine gute Zeit, bei der die Qualität wichtiger ist als die Quantität. Ich würde ihm starken Kaffee geben, wenn er ihn so gerne mag und wenn es keine Verschlechterung des Zustandes mit sich bringt. :-)



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  8. Hallo Jutta, schön, dass Du Dich hier zu Wort meldest! Tja, die Wunderheilung... Du hast natürlich vollkommen Recht, wenn Du schreibst, dass das Personal, die Patienten und auch die Ärzte wenig für die Umstände können. Was es leider für den zu Pflegenden nicht besser macht. Das ist auch eine miese Abwärtsspirale, in dem alle gefangen sind. Kein Geld, kein Personal. Kein Personal, mehr Überlastung. Noch weniger Personal, noch weniger Geld zur Verteilung. Und immer so weiter.

    Mein Vater musste Anfangs in die Beschützende, war zudem sehr aggressiv. Da war es uns fast klar, dass er eine sehr hohe Medikation bekommt. Natürlich auch zum berechtigten Schutz des Personals. Wenn ich manchmal sehe, welch wirklich übermenschlichen und liebevollen Anstrengungen da unternommen werden - Wahnsinn, dass es solche Menschen gibt. Und diese werden vom System mit Füßen getreten und mies bezahlt.

    Viele Leute schimpfen über "die Russen" als Pflegerpersonal. Ohne diese Menschen wäre alles doch schon lange zusammengebrochen. Aber die Vorurteile stecken in den Menschen. Ebenso auch wie die Vorstellung, dass die Demenz eine psychische Erkrankung ist. Wie oft haben wir Mühe, den Mitmenschen zu erklären, dass dies eine organische Erkrankung ist, die irreversibel ist. Die Leute wollen glauben, dass wir - und manchmal besonders ich - daran schuld sind, dass mein Vater erkrankt ist. Die Erklärung hören viele, wollen diese aber nicht wahr haben. Was solls, wir können nicht jeden missionieren.

    Jutta, ich danke Dir für Deine Wünsche, der nächste Kaffee wird stark und mit Grüßen von Dir gegeben.

    Gruß
    Holger

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  9. Du meinst das Foto, das hier schon mal drin war, oder? Ich habe es noch sehr gut in Erinnerung. Gar kein Vergleich zu dem da oben *hinzeig*. Trotz aller Widrigkeiten, trotz allem, was passiert ist, guck doch hin und seh einfach den Unterschied! Wie Du schon sagst, DAFÜR hat es sich gelohnt.
    Dass dem Pflegepersonal oft nichts anderes übrig bleibt, als die Menschen manchmal ruhig zu stellen, sehe ich genauso. Furchtbar ist das, und ich wünsche JEDEM, der an einer solchen Gesundheitspolitik beteiligt ist, das einmal am eigenen Leib zu erfahren.

    Ich bewundere Dich und deine Mutter für das, was ihr tut. Ich kann mir ansatzweise vorstellen, wieviel Kraft und Mut und Willen das kostet.

    Ganz liebe Grüße *wink*

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    1. Hallo brisy, nein, die schlimmen, also die wirklich schlimmen Fotos, die waren hier noch nicht im Internet. Da haben wir uns auch dagegen entschieden. Und ja, ich bin wirklich froh, dass wir einen Arzt gefunden haben, der uns damals dazu geraten hat, meinen Vater nicht einfach qualvoll verhungern zu lassen, sondern die Infusion zu legen. Wie viele Menschen sind schon gestorben, die vielleicht noch ein einigermaßen würdevolles Leben hätten leben können?

      Mir gebührt nicht die Bewunderung, meine Mutter macht die Löwenarbeit mit meinem Vater. Auch ein Ding, welches ich früher nie in dieser Form so für möglich gehalten hätte. Kraft und nächtelanges Wachliegen gehört allerdings mit dazu. Aber, wenn es sich, wie in unserem Fall, lohnt, dann war es das doch auch wert.

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  10. Ja, das war und ist es wert. Ich drück dich mal ganz dolle *drückdrückdrück* und deine Mutter unbekannter Weise gleich mit. Es ist nämlich NICHT selbstverständlich, das, was ihr tut. Denn viele, viele alte und kranke Menschen werden wirklich einfach abgeschoben.

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