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Der Anruf

Eigentlich rechnen wir täglich, gar stündlich damit - dem Anruf aus dem Pflegeheim.
Heute war es soweit, seine Gliedmaßen werden blau, er hat in der Nach andauernd geschrien, jetzt hat der Arzt zumindest starke Schmerzmittel verabreicht. Meine Mutter ist am Telefon, es dauert schon zu lange, bis sie sich endlich meldet. Irgendwie hat man ein Gefühl dafür, wenn etwas anders als sonst ist. Und der Puls beginnt zu rasen, in Sekunden rasen die schlimmsten Gedanken durch den Kopf.

Dem Vater geht es schlecht, wir müssen mit Allem rechnen. Dann ist nur noch schluchzen zu hören, das kenne ich von ihr überhaupt nicht. Ich sage schnell meiner Schwester Bescheid, damit sie fertig angezogen auf dem Hof steht, wenn ich sie abhole. Von uns Beiden war ich schon immer der Stabilere, auf der Autobahn vertraue ich eh nur einer Person neben mir, in dieser Situation lasse ich die Schwester nicht an das Steuer.

Wir fahren also in Richtung Heim. Eine komische Atmosphäre, wir reden über vieles, aber nicht über DAS. Ich bin dankbar, dann doch eher ein schnelleres Auto zu fahren, auch wenn nichts gesagt wird, die Befürchtung zu spät zu kommen, die steht unausgesprochen zwischen uns. Am Ort bin ich erstaunt, wie schnell ich dann doch schon wieder laufen kann, meine Schwester hat Mühe, mitzukommen.

Aufzug, oberstes Stockwerk, gerade eben als wir eintreffen, steht eine Fachkraft an der Tür, schließt uns die "behütete Station" auf. Eigentlich will ich nicht hinein, andererseits habe ich es eilig.

Der Vater liegt im Zimmer, wir hören ein Piep-Piep-Piep. Kräftig, gleichmäßig. Sein Herz schlägt noch.Am Bett sehe ich, dass die Nahrung zu Ende ist, es ist die Pumpe, die piepst. Ich mag nicht in das Bett sehen. Und doch muss ich. Ein gurgelndes Geräusch, rhytmisch, kehlig, so wie man sich jemanden vorstellt, der ertrinkt. Das muss das "Todesrasseln" sein, von dem ich so viel gelesen habe, welches mich klein werden lässt. Der Mund ist weit geöffnet, die Augen zugekniffen, die Hände liegen ruhig. Die Bälle, die seine Handspasmen lindern sollen, sind auf das Laken gerollt, die Hände entspannt. Dafür sind Bauch und Hüfte in ständiger Bewegung, Parkinson wütet unablässig.

Ich beuge mich über ihn, meine Mutter sagt, dass er den ganzen Tag noch nicht die Augen geöffnet hat. Ich spreche laut, nehme seine Hand, hoffe, dass er mich bemerkt. Der Geruch aus seinem Mund ist grausam, die ganze Nacht wurde Schleim aus dem Hals abgesaugt, die Zähne und der Rachenraum können im Moment nur sehr begrenzt gereinigt werden. Zu groß ist die Gefahr, dass er etwas einatmen und eine Lungenentzündung bekommen könnte. Ich denke darüber nach, dass es ihm sicher nicht gefällt, dass seine Zähne ungeputzt sind, wo er doch immer so stolz darauf war. Fast muss ich lächeln, als es mir in den Kopf schießt, dass er andere Probleme, als etwas Plaque am Zahn hat.

Er öffnet die Augen, schaut mich an. Er fixiert mich richtig, da, wo sonst nur nahender Tod zu sehen war, ist eine kleine Flamme, er schaut mir tief in die Augen. Das Röcheln lässt etwas nach, vielleicht bilde ich es mir ein, aber er sieht entspannter aus. Schlimm wird es erst wieder, als ich ein geröcheltes "Helft mir" zu erkennen glaube. Diese zwei kleine Worte gehen tief in mich hinein. Ich weiß nicht, ob ich den Klang jemals wieder aus dem Kopf bekommen, auf der Heimfahrt kann ich an nichts anderes denken.

Wir reinigen ihm die Mundwinkel und die Augen, so gut es eben geht. Die Heimschwester kommt und bringt eine neue Flasche Nahrung, ich bin versucht zu sagen: "Nein, bitte nicht!". Aber, das würde nur ein unnötiges weiteres Leid verursachen. Meine Schwester wendet sich ab, sie ist deutlich verschreckt, irgendwie kann sie mit der Situation nicht umgehen. Vielleicht sind ihre Gedanken auch bei dem Vorstellungsgespräch, welches sie in diesem Moment führen sollte. Ich weiß es nicht.

Ein kurzes Gespräch vor der Tür, mir wird mitgeteilt, dass er nun wieder stabil ist, wir nichts für ihn tun können. Ich lasse mich zusätzlich mit meiner Mobilnummer eintragen, damit auch Nachts jemand zu erreichen ist, oder dann, wenn meine Mutte ohne Handy unterwegs ist. Ich könnte mir nicht verzeihen, in den letzten Minuten nicht bei ihm zu sein.

In der letzten Zeit habe ich viel über den nahenden Tod gelesen, welche Anzeichen wie zu deuten sind, und wie gerade Demenzkranke diese Welt verlassen. Ich versuche, den Tod momentan als eine Art "technischen Vorgang" zu sehen, einfach wie den Ausfall einer Maschine, die nicht mehr repariert werden kann. Das macht mir das Erkennen der einzelnen Hinweise auf das Ableben irgenwie einfacher. Wenn ich daran denke, dass vor mir mein Vater liegt und seine Zeit auf der Erde endgültig verstreicht, verzweifle ich. Ich kann nicht helfen, außer mit meiner Anwesentheit. Und nicht einmal, ob er es erkennt, weiß ich sicher.

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